Die Waechtersbacher Keramik

Industrie- und Designgeschichte strahlt aus Brachttal in die Welt

Hier wird sie nur „die Fabrik“ genannt: Die Waechtersbacher Keramik. Von 1832 bis 2012 hat sie die gesamte Region verändert. Bahnhöfe, Arbeitersiedlungen, Künstlerkolonien, Kirchen und Direktorenhäuser bestimmen heute das Ortsbild von Schlierbach. Auch die Designgeschichte hat die Fabrik geprägt: Joseph Maria Olbrich, Hans Christiansen, Zaha Hadid und Ettore Sottsass haben für die Firma entworfen. Während die Entwürfe heute unter anderem in den Museen in New York, London, Paris, Wien und Berlin gezeigt werden, steht die Fabrikanlage noch fast unverändert in Schlierbach.

Ihre offizielle Bezeichnung „Waechtersbacher Steingutfabrik Otto Friedrich Fürst zu Ysenburg und Büdingen GmbH und Co Kg“ nennt den Namen der Gründerfamilie: Zusammen mit sechs weiteren Gesellschaftern gründete Graf Adolf II. zu Ysenburg-Büdingen in Wächtersbach die Firma im Tal der Bracht. Reiche Bodenschätze wie zum Beispiel weißer Ton und Sand versprachen der bäuerlichen Bevölkerung zu Lohn und Brot zu verhelfen. Ab 1856 wurde die Fabrikanlage unter Fürst Ferdinand Maximilian I. systematisch ausgebaut – anfangs noch im Stil englischer Landhäuser: ein Platanenhof mit einer Vorfahrt und Brunnen, symmetrische Architektur und Alleen. Die Fabrikhallen waren als Architekturform noch nicht erfunden. Bis zu 700 Frauen und Männer arbeiteten in der Fabrik, die in jedem Architekturstil bis in die 1980er Jahre erweitert wurde. Heute ist sie ein einzigartiges architektonisches Denkmal.

Die Henkel der Becher wurden gegossen und dann angarniert. Die körperlich schwere Arbeit wurde von Männern ausgeführt.
Die Henkel der Becher wurden gegossen und dann angarniert. Die körperlich schwere Arbeit wurde von Männern ausgeführt.
Glasieren war dagegen Arbeit von Frauen.
Glasieren war dagegen Arbeit von Frauen.

Auch das kleine Dorf Schlierbach hat sich verändert.

Die Bauernhöfe aus Fachwerk verschwanden. Stattdessen stehen an der Hauptstraße heute Häuser aus roten Backsteinen: KünstlerInnen, Direktoren, Angestellte, ArbeiterInnen und Kolonialwarenhandlungen haben sich hier im 19. Jahrhundert niedergelassen. Während der Industrialisierung entstanden in unmittelbarer Umgebung ein Bahnhof, eine neue Schule und eine neue Kirche.

Einblick in die Brennhalle

Einblick in die Brennhalle

In der langgezogenen Halle aus den 1960er Jahren standen Tunnelöfen, die mit Ware beschickt wurden. Auf Gleisen wurden die Wagen in die Tunnelöfen hinein und heraus gefahren. Die Schamottplatten waren einfach unbefestigt aufgeschichtet und dementsprechend wackelig. Architektonisch ist an der Halle das extrem dünne Zeiss-Dywidag-Gewölbe bemerkenswert. Es ist das gleiche wie an der Großmarkthalle von Martin Elsässer in Frankfurt.

Ist das die Fabrik?

Ist das die Fabrik?

Ja und nein. Das Gebäude hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich: Es war Kantine und Werksverkauf. Jetzt wird es als Kulturraum des Vereins Industriekultur Steingut e. V. genutzt. Aber das Haus wirkt unecht: Das Foto zeigt ein
Modell der Waechtersbacher Keramik, das zum
100. Geburtstag 1932 angefertigt wurde – natürlich handbemalt und aus Steingut.

Literatur

Frensch, Heinz u. Lilo: Wächtersbacher Steingut. Königstein, 1978
100 Jahre Waechtersbach. Bamberg, 1932